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Erste Hilfe nach Lawinenverschüttung

By Plattner, Dahlmann

Erste Hilfe nach Lawinenverschüttung

Nach einem Lawinenabgang gilt es, so effizient und schnell wie möglich, eine verschüttete Person zu lokalisieren – mit Auge, Ohr, LVS & Sonde – und auszugraben. Beim Ausschaufeln arbeitet man sich nach dem ersten Kontakt zum verschütteten Körper zum Kopf vor. Oberstes Ziel ist es, so schnell wie möglich die Sauerstoffversorgung sicherzustellen.

Autoren: Plattner, Dahlmann
Im Gegensatz zur Verschütteten-Suche sind die Erste-Hilfe-Maßnahmen, welche die Ersthelfer vor Ort nach dem Ausgraben durchführen müssen, etwas komplexer und müssen ebenso wie die LVS-Suche regelmäßig trainiert werden.

Im Folgenden gehen wir auf die drei Situationen ein, mit denen ein Skitourengeher nach dem Ausgraben eines Verschütteten konfrontiert sein kann, und zeigen, welche Erste-Hilfe-Maßnahmen wann durchzuführen sind.

Wir richten uns dabei nach dem ABCDE-Schema, das sich bewährt hat und bekannt sein sollte.

ABCDE-SchemaSituation 1
ansprechbar
Situation 2
nicht ansprechbar, aber Atmung
Situation 3
nicht ansprechbar und keine Atmung
A  Airways / AtemwegeHalswirbelsäule stabilisierenChinliftChinlift
B  Breathing / Belüftungnach Verletzungen am Oberkörper suchen, passend lagernnach Verletzungen am Oberkörper suchen, passend lagern5 initiale Beatmungen CPR
C  Circulation / Kreislaufnach weiteren Verletzungen suchen & Blutungen stoppen, Wärmeerhaltnach weiteren Verletzungen suchen & Blutungen stoppen, WärmeerhaltCPR (Herz-Lungen-Wiederbelebung) 30:2
D  Disability / NeurologieKopfverletzung?Kopfverletzung?
E  Else / RestLagerung & Wärmeerhalt verbessern, Betreuung & EmpathieLagerung & Wärmeerhalt verbessern
laufend überprüfen und neu bewerten

ABCDE-Schema

Das ABCDE-Schema hat sich bei der Behandlung von Notfallpatienten für alle Anwender – egal, ob Laie oder Paramedic – bewährt. Gerade im alpinen Umfeld gibt dieses systematische Beurteilen des Verletzten/Patienten dem Ersthelfer Sicherheit und zeigt nach Priorität, welche Erste-Hilfe-Maßnahmen gesetzt werden müssen. Dabei steht:

A für Airways = Atemwege und Halswirbelsäule (HWS)
B für Breathing = Belüftung
C für Circulation = Kreislauf
D für Disability = Neurologie
E für Else = Rest

Situation 1: Verschüttete Person ist ansprechbar

Ist der Verschüttete ansprechbar, kann man leicht aufatmen und es besteht kein Grund zu übertriebener Eile. Der Verschüttete kann also behutsam weiter ausgegraben werden und man startet klassisch mit dem bekannten ABCDE-Schema. Es besteht auch keine Notwendigkeit, den Patienten hektisch irgendwohin zu bergen/retten.

Da der Patient spricht, sind keine Airway-/Atemwege-Probleme zu erwarten. Aufgrund der Kraft und Gewalt, die auf den Patienten während des Lawinenabgangs wirkt, ist aber an die Halswirbelsäule zu denken. Diese wird achsengerecht mit den Händen stabilisiert.

B In B (Breathing/Atmung) gilt es, die Atemfrequenz und Atemqualität zu bewerten und nach Verletzungen im Brustbereich zu suchen. Der Verschüttete wird so komfortabel wie möglich gelagert.

C In C (Circulation/Kreislauf) werden Verletzungen gesucht und vorhandene Blutungen gestoppt. Innere Blutungen kann man leider nicht wirklich versorgen. Enorm wichtig ist in diesem Zusammenhang aber der Wärmeerhalt: Denn die körpereigene Blutstillung (Gerinnung) funktioniert nur dann gut, wenn die Temperatur so normal wie möglich ist – (Kälte-)Zittern gilt hier bereits als Gefahrenzeichen.

In D (Disability/Neurologischer Status) ist ein Neurocheck angesagt, denn Lawinen können zu Schädel-Hirn-Verletzungen führen.

 

In E (Else, Environment/Rest, äußere Einflüsse) verbessert man den Wärmeerhalt durch einen Biwaksack, eine Rettungsdecke oder ähnliche Materialien. Wie viel Aufwand man hier betreibt, hängt davon ab, wann die professionellen Rettungskräfte eintreffen werden: Je kürzer diese Wartezeit ist (Rettungshubschrauber unterwegs), desto weniger notwendig ist es, die Lagerung des Verunfallten jetzt noch großartig zu verändern. Bei ungünstigen Kopfüberlagen bietet es sich an, den Patienten schonend auf die bereits freigeschaufelte Rampe achsengerecht und ohne viel Manipulation (HWS!) zu bewegen.

Also: Kopf des Verschütteten von Schnee befreien und ihm eine Mütze aufsetzen, Daunenjacke anziehen/abdecken und Kapuze über den Kopf ziehen!

Verschüttete Person ist nicht ansprechbar (Situation 2 & 3)

„Normale Atmung“ bedeutet: Nach dem eventuell notwendigen Freilegen der Atemwege (Entfernen von Schnee, Erbrochenem) und Überstrecken des Kopfes (Chinlift) ist die Atmung durch regelmäßige Brustkorbbewegungen in einer ausreichenden Frequenz (10 x/Minute oder mehr) mithilfe von Hören, Sehen und Fühlen feststellbar. Im Zweifelsfall oder bei Unsicherheit ist von „keiner Atmung“ auszugehen.

„Keine normale Atmung“ bedeutet: Die Atmung ist entweder zu langsam (weniger als 9 x/Minute), kaum sichtbar (Oberkörper hebt/senkt sich nicht) oder viel zu schnell (mehr als 30 x/Minute). Wenn sich der Brustkorb normal schnell und gut sichtbar hebt und senkt, man aber keinen Atemzug/Atemhauch durch Fühlen wahrnehmen kann, überprüft man die Atemwege erneut und entfernt gegebenenfalls wieder Schnee, Erbrochenes usw. und kontrolliert noch einmal die Überstreckung/Chinlift des Kopfes.

Ist keine normale Atmung wahrnehmbar, wird die Herz-Lungen-Wiederbelebung (CPR = Kardiopulmonale Reanimation) gestartet.

Beide Situationen erfordern ein richtiges Handeln, denn der Verschüttete ist absolut bedroht und befindet sich in Lebensgefahr. Dennoch gilt es, weder in Hektik noch in einen Actionmodus zu verfallen, sondern besonnen, schnell und mit einem guten Plan vorzugehen. Dabei gilt – wie überall in der Ersten Hilfe und überhaupt am Berg –: „Langsam ist geschmeidig und geschmeidig ist schnell!“

Im Gegensatz zur Situation 1 wird der restliche Körper so rasch wie möglich weiter ausgegraben, da die entsprechenden Erste-Hilfe-Maßnahmen nur auf der freigeschaufelten Rampe effizient durchgeführt werden können.

Situation 2: Verschüttete Person ist nicht ansprechbar, aber atmet (normal)

Man arbeitet wieder das ABCDE-Schema ab. Schwerpunkt liegt dabei auf A, dem Offenhalten der Atemwege, idealerweise durch einen Chinlift (auch bekannt als Esmarch-Handgriff).

Zusätzlich richtet man seinen Fokus auf B (Breathing/Atmung), indem man sich fortlaufend fragt und vergewissert, ob Atemfrequenz und -tiefe noch ausreichend sind.

In C geht man genauso vor wie in Situation 1 („Verschüttete Person ist ansprechbar“), ebenso wie in D und E.

MIT EINEN CHINLIFT (ESMARCH-HANDGRIFF) WERDEN IN A DIE ATEMWEGE OFFENGEHALTEN. FOTOS: ARGONAUT.PRO

Das Besondere ist hier, dass der Atemweg (Airway) händisch offengehalten werden muss und sich die Atmung als Komplikation jederzeit verschlechtern kann.

Deswegen gilt:

  • Der Helfer darf seine Position am Kopf nicht verlassen.
  • Versuchen, den Patienten in eine stabile Seitenlage (oder Rückenlage mit der Möglichkeit zum Log-Roll) zu bekommen.
  • Eine CPR-Bereitschaft herstellen (harter/komprimierter Untergrund).
  • Der Verschüttete wird so schnell wie möglich von weiterem Schnee befreit und vorsichtig sowie achsengerecht auf die Rampe bewegt – eine sogenannte schnelle Rettung.

Im Anschluss wird ABCDE fortlaufend beurteilt und nach weiteren Verletzungen und Auffälligkeiten gesucht (insbesondere Blutungen in C – Stichwort Wärmeerhalt und Schädel-Hirn-Verletzungen in D).

Situation 3: Verschüttete Person ist nicht ansprechbar und atmet nicht (bzw. nicht normal)

Ist keine (normale) Atmung feststellbar, wird mit der CPR (Kardiopulmonale Reanimation) gestartet.

Das ist der Worstcase, der eintritt, wenn man folgende zwei Fragen negativ beantworten muss:

  • Antwortet der Verschüttete? Nein, keine Antwort!
  • Atmet der Verschüttete? Nein, keine Atmung!

Absolute Priorität haben jetzt:

  • Beatmung in A und B
  • Thoraxkompressionen in C

Nach der Atemkontrolle wird unmittelbar mit den Beatmungen begonnen. Dazu wendet man die klassische Mund-zu-Mund-Beatmung an (effektiver wäre die korrekte Verwendung einer Pocketmask): Es werden fünf Initial-Beatmungen durchgeführt. Ist nach der fünften Beatmung idealerweise ein weiterer Ersthelfer bereit für die Thoraxkompressionen, werden diese mit 30 Wiederholungen gestartet – und die CPR im Rhythmus 30:2 fortgesetzt (ist man allein, muss man beatmen und komprimieren).

Nach einer Lawinenverschüttung ist auf der Schneeoberfläche oft keine gute und somit effiziente Thoraxkompression möglich, weil dazu zwingend ein fester und harter Untergrund notwendig ist. Einen solchen findet man praktischerweise auf der zuvor freigeschaufelten Rampe, die – je nach Schneebeschaffenheit – eventuell noch durch „Trampeln“ verdichtet werden kann.Nun wird ganz normal mit 30:2 CPR reanimiert, wofür drei Personen eine ideale Teamgröße sind: Der „Beatmer“ an der Kopfposition behält den Überblick und gibt den „Drückern“ Feedback. Diese wechseln sich alle zwei Minuten ab und arbeiten nach dem Motto „hard & fast“.

Eine gute CPR läuft koordiniert ab, hat nur zum Beatmen Unterbrechungen in der Thoraxkompression und wird kontinuierlich durchgeführt. Befindet sich in der Nähe ein Standort mit einem AED (Automatisierter externe Defibrillator), wie z. B. eine Hütte, Liftstation o. ä., dann veranlasst man sofort, dass der AED ehestmöglich an den Unfallort gebracht wird und eingesetzt werden kann.

Bei jeder CPR sollte idealerweise ein AED verwendet werden.

KLARTEXT

Zum Thema Erste Hilfe nach einer Lawinenverschüttung gibt es einige Mythen, die sich tapfer halten und weitergegeben werden … Im Folgenden einige Fakten:

  • CPR wird gemäß obiger Tabelle immer gestartet, außer es besteht Gefahr für Retter oder der Verunfallte hat Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind (z. B. durchtrennter Körperstamm).
  • Die Frage nach der weiteren Versorgung ist nicht Aufgabe der Ersthelfer.
  • Weitere Unterkühlung/weiteres Auskühlen ist unbedingt zu vermeiden.
  • (Kälte-)Zittern gilt bereits als Gefahrenzeichen, hört das Zittern auf, ist das ein absolutes Alarmzeichen.
  • Unterkühlte Patienten dürfen bewegt werden, wenn das für weitere Maßnahmen erforderlich ist (achsengerecht arbeiten).
  • Eine „Atemhöhle“ wird nicht beurteilt, sondern nur, ob die Atemwege (Mund-/Rachenraum) frei von Schnee/Eis sind, d. h. ob eine Atmung möglich war. Unabhängig davon arbeitet man aber ganz normal nach ABCDE weiter. Bei der Übergabe an die professionelle Rettung beschreibt man, was man in A und B tun musste, um beatmen zu können.
  • Für die CPR muss der Patient in Rückenlage auf hartem Untergrund liegen, d. h. für das Drücken ist ein stabiler Arbeitsplatz wichtig. Überbrückend den Patienten nur beatmen und besser verzögert mit der Kompression starten als ineffizient drücken.
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